Der Venedig-Effekt
Venedig. La Serenissima an der Lagune. Warten auf der schwimmenden Vaporetto-Station (öffentlicher Boots-Nahverkehr). Alles schwankt. Vaporetto-Fahrt entlang des Canale Grande quer durch Venedig. Etliche Kielwellen anderer Boote bringen das Vaporetto heftig zum Schwanken. Ausstieg Rialto Mercado. Trotz festem Boden unter den Füssen schwankt es weiterhin im Inneren. Nach wenigen Tagen schwingt das Gehirn mit. Widerstand nutzlos. Eine schwankende Stadt, auf dem Wasser erbaut, mit einem einzigen funktionierenden Verkehrsmittel: dem Boot. Das macht was mit einem. Starre Gedanken lösen sich auf. Der Wille löst seinen Biss. Alles wird irgendwie weicher. Dieses Gefühl kenne ich nicht aus Berlin :-).
"Auf der ganzen Welt gibt es nichts Weicheres und Schwächeres als das Wasser. Und doch in der Art, wie es dem Harten zusetzt, kommt nichts ihm gleich. (...) Dass Schwaches das Starke besiegt und Weiches das Harte besiegt, weiß jedermann auf Erden." -Laotse- (um 600 v. Chr., Tao te king. Das Buch vom Sinn und Leben)
Der direkte Kontakt zum Element Wasser macht heil. Alles, was wir zu sehr forcieren und mit dem Willen durchsetzen; wo wir unter allen Umständen rechthaben und siegen wollen; wo wir nicht verzeihen, dafür aber unsere Wut nähren; all das macht das Element Wasser in uns weich und nachgiebig. Alle Elemente sind im Menschen angelegt, nur in welcher Balance?
"Das Prinzip aller Dinge ist das Wasser, denn Wasser ist alles und ins Wasser kehrt alles zurück." -Thales von Milet- (624 - 546)
Von Anfang an lernen wir, das die Nachgiebigen verlieren. Man muss sofort zugreifen, sonst tut's ein Anderer. Als gäbe es überall zu wenig und man müsste sich beeilen, bevor die knappe Ware ausverkauft ist. Mangelbewusstsein. Übrig bleibt ein gehetzter, getriebener Zustand, der nie zur Ruhe kommt, oftmals noch nicht mal im Schlaf. Wer gelernt hat (sich durchzu-) kämpfen, sich zu überarbeiten, um es im Leben zu etwas zu bringen, wer nie Zeit hat, seine Freunde zu wenig trifft, noch nicht mal in Ruhe mit dem Partner sitzen und reden kann, der sollte einen Blick auf seine "Wasservorräte";-) werfen.
"Wasser, das fließt, ist voll guter Eigenschaften; kommt es zum Stillstand, verliert es sie." -Ibn Kalakis- (12. Jahrhundert)
Wasser haben wir alle genug, aber fliesst es auch? Immer wenn wir langfristig in Extremen leben, kommt unser Wasser zum Stillstand. Lege einen großen Stein in den Bach und der Stau bringt über kurz oder lang das Wasser zur Fäulnis. Bleibt die Frage der Selbsterkenntnis: Wo ist mein Stau? Welchen Stein sollte ich beiseite rollen? Wo bin ich ins Stocken geraten? Diese Fragen sind die Schwersten aller Fragen, denn bei sich selbst zu schauen, kann eine enorme Befreiung auslösen, kann aber auch etwas weh tun.
Anders ausgedrückt können wir uns auch fragen, wie kreativ wir sind, wieviel Lust und Freude uns begleiten, ob wir Sinn empfinden, bei dem was wir tun und ob wir lieben? Wenn man schon morgens aufsteht und mit Lebenslust den Tag beginnen lässt, wenn man jede Kleinigkeit und auch das Große in seinem Leben liebt, wenn man voller Mitgefühl, nachgiebig und auch mal zurückhaltend sein kann, wenn man zuhören kann, Verständnis und Empathie aufbringt und den ewigen Fluss in einer Partnerschaft/ Freundschaft geniessen kann, dann kann man von dem Zustand des FLOW sprechen.
"Die Weisen erfreuen sich am Wasser." -Konfuzius- (551 - 479)